Ein Einstieg in die Yoga Philosophie von Patanjali
Patanjali gilt als Vater des Yoga und sein Werk, die Yoga Sutren von Patanjali gelten als eines der wichtigsten Schriften über Yoga.
Patanjali erklärt uns in den Yoga Sutren ganz genau, was Yoga bedeutet und wie wir Yoga praktizieren können. Es ist fast wie eine Art Handbuch für Yoga. Die Yoga Sutren sind in 4 Kapitel, sogenannte Padas unterteilt. Für uns als Yogaübende ist vor allem das zweite Kapitel – Sadhana Pada – interessant. Denn dort geht es um den praktischen Teil des Yoga. In diesem (und ein bisschen im dritten Pada) findest du alles über den achtfachten Pfad – Ashtanga Yoga.
Ashtanga ist Sanskrit und besteht aus den beiden Worten Ashtau und Anga. Ashtau ist die Zahl 8 und Anga bedeutet so viel wie Glieder oder Körperteile. Ashtanga Yoga ist demnach ein Yoga System, das sich aus acht Gliedern zusammensetzt.
Ashtanga Yoga gehört für jede/n Yoga Lehrer/in zur Grundausbildung dazu und ist aber auch für Yoga Schüler enorm hilfreich. Deshalb möchte ich heute mit dir ein bisschen in die Welt der Yoga Philosophie eintauchen. Wir werden nicht auf alle acht Teile detailliert eingehen, sondern uns heute auf die ersten beiden Teile, die Yamas und Niyamas konzentrieren. Denn sie bilden das Fundament einer jeden Yoga Praxis und geben uns sehr hilfreiche und leicht anwendbare Richtlinien, um uns spirituell und menschlich weiterzuentwickeln. Ich bin sicher, dass du viel daraus mitnehmen kannst!
Die acht Glieder des Ashtanga Yoga:
Yama – soziale Grundsätze
Niyama – persönlichen Grundsätze
Asana – Haltung
Pranayama – Kontrolle und Regulierung des Atems
Pratyahara – Das nach innen kehren der Sinnesorgane
Dharana – Konzentration
Dhyana – Meditation
Samadhi – komplette Selbsterkenntnis
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Die Yamas und Niyamas sind die sozialen und persönlichen Grundsätze und bestehen aus jeweils 5 Aspekten, die zusammen das Fundament einer jeden Yoga Praxis bilden. Lasst uns diese beiden ersten Teile einmal genauer anschauen:
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Yamas
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1)Ahimsa – Gewaltfreiheit
Ahimsa ist ganz tief in uns verankert und unsere wahre Natur. Wahre Menschlichkeit ist Ahimsa.
Im Yoga geht es nicht darum, etwas neu zu erschaffen, was noch nie da war. Ganz im Gegenteil. Alles was wir suchen, ist bereits da. Wir lernen jetzt nur, zum ersten Mal hinzuschauen, hinzuhören und Schritt für Schritt zu entdecken, was dort alles in uns schlummert.
Ahimsa ist der erste von fünf Yamas – den sozialen Grundsätzen, mit denen die acht Glieder des Ashtanga Yoga beginnen. Ich möchte glauben, dass Patanjali nicht zufällig Ahimsa als allererstes nennt, sondern weil es einfach der allerwichtigste von allen Schritten auf dem Weg des Yoga ist. Ahimsa bildet das Fundament und ist gleichzeitig der allerwichtigste Punkt des gesamten Ashtanga Yoga. Ohne Ahimsa steht unsere Yoga Praxis und unser spirituelle Weiterentwicklung auf sehr wackeligen Beinen.
Ahimsa bedeutet liebevoll und respektvoll zu sein. Herzensstärke zu zeigen, verantwortlich zu handeln und alle Lebewesen zu respektieren. Es bedeutet stark und mutig zu sein und für das richtige einzustehen.
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Ahimsa is the highest Dharma, Ahimsa is the highest self-control,
Ahimsa is the greatest gift, Ahimsa is the best practice,
Ahimsa is the highest sacrifice, Ahimsa is the finest strength,
Ahimsa is the greatest friend, Ahimsa is the greatest happiness,
Ahimsa is the highest truth, and Ahimsa is the greatest teaching.
Ein Auszug aus der Mahabharata (Mahaprasthanika Parva 37-38)
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2) Satya – Wahrheit
Jeder von uns hat seine ganz eigene Wahrheit. Wir nehmen unsere Realität durch unsere Sinnesorgane wahr und projektieren dabei völlig unbewusst unsere eigenen Farben und Gefühle in diese Realität hinein, was sie dann zu unserer ganz eigenen, individuellen Wahrheit macht.
Nur sehr selten schaffen wir es, so klar und frei von Projektion zu sein, dass wir die reine Realität wirklich wahrnehmen können.
Satya spricht aber nicht von dieser individuellen Wahrheit. Satya ist die höchste, reinste Wahrheit.
Im Yoga streben wir danach dieses Satya wahrzunehmen und und zu lernen, die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind, ohne die Filter unserer eigenen Wahrnehmung.
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3) Asteya – Nicht-Stehlen
Zum einen bezieht sich Asteya natürlich auf das ganz offensichtliche – niemandem etwas zu stehlen. Asteya bedeutet aber auch, bescheiden zu sein.
Wenn wir mehr nehmen, als uns zusteht, mehr Ressourcen nutzen, als wir eigentlich brauchen, dann ist das auch eine Form von Steya (stehlen). Denn die Ressourcen, die wir zu viel nutzen, nehmen wir jemand anderem weg. Und dem anderen standen sie zu, uns nicht.
Wenn wir uns unsere Gesellschaft heute anschauen, finde ich, dass ganz deutlich wird, wie wichtig Asteya ist, und wie sehr wir als Gesellschaft lernen müssen, dieses Prinzip in die Anwendung zu bringen. Denn die Bedürfnisse der Wohlstandsgesellschaft sind wie ein Fass ohne Boden und können nie gesättigt werden.
Asteya lehrt uns, anstatt immer mehr zu wollen und immer tiefer ins Verlangen zu kommen, dankbar das anzunehmen, was wir haben, und ehrlich abzuwägen, ob wir tatsächlich mehr brauchen oder nicht.
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4) Brahmacarya – Enthaltsamkeit
Im traditionellen Indien war es Brauch, allen weltlichen Verpflichtungen zu entsagen, wenn man sich dazu entschieden hatte, sein Leben dem Yoga zu widmen. Die Yogis lebten allein in den Himalayas oder in den Ashrams ihrer Gurus. Brahmacarya war zu der Zeit ein ganz wichtiger Aspekt des yogischen Lebens und bezog sich vor allem auf die sexuelle Enthaltsamkeit.
B.K.S. Iyengar war einer der ersten modernen Yogis, die sich diesem Brauch entgegengestellt hat. Er hat beschlossen, dass er sein Leben dem Yoga widmen will und gleichzeitig ein Familienmensch sein möchte. Allein in den Himalayas zu leben und dort tief in der Meditation zu versinken, ist – wie er sagte – leichter, als gleichzeitig mit beiden Beinen im Leben zu stehen, eine Familie zu versorgen und immer tiefer in seine Yogapraxis einzutauchen. Er hat es abgelehnt, den Eid eines Brahmacary abzulegen und entgegen seiner Tradition seine eigenen Ideale entwickelt.
Er ist uns damit als gutes Beispiel vorangegangen und zeigt uns, dass Yoga für jeden da ist, und jeder Mensch, egal in welchen Verhältnissen er lebt, die Möglichkeit hat, seine Lebensqualität durch Yoga zu verbessern.
Brahmacarya bedeutet auch Enthaltsamkeit im Sinne von Disziplin. Unsere Sinnesorgane sind immer auf der Suche nach mehr und mehr Eindrücken, sie wollen immer mehr erfahren. Durch Yoga lernen wir, unsere Sinnesorgane zu disziplinieren und uns selbst zu trainieren, achtsam zu sein und zu schauen, wie viel Genuss und Eindrücke uns tatsächlich gut tun.
Auch im Ayurveda wissen wir, dass uns zu viel Genuss eher schadet als gut tut. Ein wenig Disziplin und Selbstkontrolle zu entwickeln und zum Beispiel regelmäßig zu fasten, hilft unserem Körper und Geist zu entgiften und zu regenerieren.
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5) Aparigraha – loslassen (detachment)
Auf den ersten Blick scheint Aparigraha recht einfach anzuwenden zu sein – auf der äußersten Ebene geht es ganz klar darum, mit dem Wichtigsten glücklich zu sein, nicht mehr Dinge zu besitzen, als wir brauchen und frei zu sein von dem Gedanken, dass irgendetwas „unsers“ ist. Entrümpeln ist also angesagt.
Aber Yoga ist eine geistige Disziplin und lädt uns dazu ein, Aparigraha auch innerlich anzuwenden. B.K.S. Iyengar hat Aparigraha als das schwierigste der Yamas beschrieben, weil es darum geht, unsere tief verankerten Glaubenssätze darüber wer wir sind und wie wir das Leben erfahren, loszulassen und neu zu gestalten. Und das ist keine leichte Aufgabe.
Alte Glaubenssätze gehen zu lassen bedeutet auch, dass wir uns mit unseren Schatten auseinander setzen müssen, gerade deshalb ist es wohl so schwer. Mit Ängsten, Vorurteilen, Erwartungen. Gedanken, die uns schwach oder klein machen.
Aber das Ergebnis ist es wert – genauso wie wir, wenn wir unsere Wohnung von oben bis unten von allem Unnötigen befreien, am Ende den gewonnenen Platz neu nutzen können, so schaffen wir innerlich Raum für positive Gedanken, Liebe, Schaffenskraft und Freude.
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Niyamas
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1) Saucha – Reinheit
Der Körper ist der Tempel der Seele und sollte von uns innerlich und äußerlich sauber und rein gehalten werden.
Äußerlich bedeutet Saucha sich täglich morgens zu duschen, saubere Kleidung zu tragen, seine Wohnräume sauber und ordentlich zu halten, als auch einer saubere, leichte, vegetarischen Ernährung zu folgen und keine Giftstoffe oder Rauschmittel zu sich zu nehmen.
Die Verunreinigungen im Inneren sind negative Gedanken und können sich zum Beispiel in der Form von Wut, Ängsten und Sorgen, Vorwürfen, Hass, Neid, Eifersucht oder Gier äußern. Um uns innerlich zu reinigen können Asana und Pranayama helfen. Außerdem können das bewusste positive ausrichten unserer Gedanken auf Mitgefühl, Freundlichkeit, Liebe und Fülle uns bei unserer täglichen inneren Reinigung unterstützen.
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2) Santosha – Zufriedenheit
Santosha bedeutet so viel wie Zufriedenheit oder in Frieden zu sein mit dem Leben. Es ist die Fähigkeit, eine innere Ruhe und Ausgeglichenheit zu entwickeln und aufrecht zu erhalten, unabhängig von unseren äußeren Lebensumständen.
So oft suchen wir unser Glück im äußeren, warten und hoffen darauf, dass bestimmte Dinge passieren oder in unser Leben treten und dann, wenn diese Dinge endlich passieren, dann können wir für immer erfüllt und zufrieden sein. So oder so ähnlich, kennen wir das doch alle, oder?!
Solange wir allerdings nicht lernen, die Ruhe und den Frieden von Santosha in unserer inneren Welt zu entwickeln und aufrecht zu erhalten, können in der äußeren Welt noch so schöne Dinge passieren – wir würden sie überhaupt nicht wahrnehmen und wertschätzen.
Durch unser tägliches Üben lernen wir nach und nach diesen Zustand der Zufriedenheit in unserem Inneren zu kultivieren. Wir lernen Dankbarkeit zu entwickeln für alle Höhen und Tiefen des Lebens und mit Bescheidenheit wertzuschätzen, was wir haben.
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3) Tapas – Selbstdisziplin
Tapas ist das reinigende Feuer der täglichen Praxis, dass alles verbrennt, was uns nicht gut tut.
B.K.S. Iyengar schreibt in Light on Life: „Heath is not a commodity to be bargained for. It has to be earned through sweat.“
Yoga hat das Potenzial viel in uns zu verändern – wenn wir bereit sind, viel zu geben. Täglich zu üben, egal was ist, Selbstdisziplin zu entwickeln und hart an uns zu arbeiten, das ist Tapas.
Der Yoga-Weg ist nicht immer rosig und leicht – wir konfrontieren uns immer wieder mit unseren Schatten, mit unseren Ängsten und nur dadurch können wir wachsen, Willensstärke entwickeln und an Rückgrat gewinnen.
Tapas ist das innere Feuer, das uns antreibt, weiter zu machen, weil wir wissen, dass das Ergebnis es wert sein wird.
„Yoga is the rule book for playing the game of Life, but in this game no one needs to lose. It is tough, and you need to train hard. It requires the willingness to think for yourself, to observe and correct, and to surmount occasional setbacks. It demands honesty, sustained application, and above all love in your heart.“
B.K.S. Iyengar in Light on Life
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4) Svadhyaya – Selbststudium
Svadhyaya hat zwei Aspekte: Das Erforschen des eigenen Selbst und das Studium der Schriften.
Der erste Teil von Svadhyaya ist das Erforschen von uns selbst, wie wir funktionieren, wie wir denken, wie wir handeln. Achtsam und aufmerksam zu sein und danach zu streben, uns immer weiter zu verbessern, fällt in diesen Teil. Hier ist unsere Yoga Praxis enorm wichtig, weil wir uns auf der Matte immer und immer wieder damit konfrontieren, wie wir funktionieren, uns selbst beobachten und dabei analysieren können, was wir tun.
Der zweite Teil von Svadhyaya ist das Studium der Schriften. Die alten indischen Schriften, die Philosophie hinter dieser Kunst zu Leben, ist dafür da, dass wir die Funktionalität von uns selbst als Mensch tiefer und besser verstehen können. Die Upanishads, die Bhagavad Gita oder die Yoga Sutren sind nur ein paar der riesigen Sammlung an Weisheiten, die uns jeden Tag helfen können, uns selbst und einander besser zu verstehen.
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5) Ishvara Pranidhana – Hingabe zum Göttlichen
Als Schüler von Yoga und Ayurveda stoßen wir irgendwann an den Punkt, an dem wir nicht verneinen können, dass es eine höhere Kraft im Universum gibt. In der vedischen Philosophie wird beschrieben, dass das Universum aus Purusha und Prakrti besteht. Prakrti ist die manifestierte Natur – alles was wir sehen, fühlen, denken und wahrnehmen können ist Prakrti. Purusha ist der schöpferische Aspekt, die universelle Seele.
Wie du diese Kraft nennst, ist etwas ganz persönliches und welche Beschreibung auch immer am meisten mit dir räsoniert – das ist die richtige für dich. Ishvara Pranidhana ist die Hingabe zu dieser höheren Kraft, das Bewusstsein, darüber, dass wir Teil von etwas sind und lädt uns ein, Liebe in uns zu kultivieren und liebevoll mit unseren Mitmenschen und der Natur umzugehen, denn wir sind alle miteinander verbunden.
Ishvara Pranidhana steht nicht zufällig an letzter Stelle der Yamas und Niyamas. Es ist der Beginn einer tieferen Verbindung zu uns selbst und bereitet uns auf die nächsten Schritte des Ashtanga Yoga vor.
Das waren die 10 Aspekte der Yamas und Niyamas. Ich hoffe, dir hat dieser Artikel gefallen und dass du viel für dich mitnehmen konntest. Yoga geht weit über die Asanas hinaus und je mehr wir uns mit den verschiedenen Aspekten des Yoga beschäftigen, umso ganzheitlicher wird unsere Entwicklung.
Hab einen wunderbaren Tag!
Alles Liebe
Deine Laura
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PS: Wenn du Lust hast, mit mir zusammen zu üben, dann sei bei meinen online Iyengar Yoga Klassen dabei. Hier bekommst du mehr Infos.
Dieser Beitrag hat 2 Kommentare
Liebe Laura,
Deine Zusammenfassung von Yama und Niyama hat mir so gut gefallen!
Das muss ich Dir jetzt einfach schreiben!
Ich habe es zwar schon so oft von meinen Lehrern und in Büchern gelesen, aber so wie Du es beschreibst, ist es ganz besonders frisch und verständlich!
Mir hat das jetzt sehr gut getan, das zu lesen, wie eine kleine Meditation, einfach wertvolles abhyasa!!!
Danke dafür und ich wünsche Dir ebenfalls einen wunderbaren Tag!
Sonnige Grüße aus Bayern
Suna
Hallo liebe Suna, das freut mich sehr, dass dir meine Zusammenfassung gefallen hat, lieben Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, mir hier einen Kommentar dazulassen. Lass es dir gut gehen, liebe Grüße Laura