Yoga hat im letzten Jahrhundert seinen Weg in die westliche Welt gefunden. Die Wissenschaft, Kunst und Philosophie des Yoga ist in der indischen Region jedoch viele Jahrtausende alt. Heutzutage beschreiben wir mit dem Wort Yoga oftmals einfach unsere Yogaklassen – also die Asanapraxis. Dabei geht manchmal ein bisschen der Tiefe und Komplexität von Yoga verloren, vor allem, wenn in den Klassen all diese Aspekte wenig integriert werden.
Wenn wir Yoga als rein körperliche Sportart ansehen, dann liegen wir damit absolut falsch, denn Yoga ist viel mehr als das.
Was genau bedeutet aber Yoga? Besonders wenn wir bereits auf unserem Weg des Yoga sind und regelmäßig üben und eine spirituelle Praxis haben, dann stellen wir bei der Reflexion dieser Frage schnell fest, dass es gar nicht so einfach zu beantworten ist.
Frag dich selbst gern einmal – was bedeutet Yoga für dich? Wie würdest du es jemandem erklären, der noch nie davon gehört hat? Und warum machst du Yoga? Diese Fragen zu reflektieren kann uns helfen, Klarheit zu entwickeln und den Fokus zu bewahren, um unser Praxis immer weiter zu vertiefen.
Dies ist der erste Teil von zwei Artikeln, in denen ich gern einige der Bedeutungen des Wortes Yoga aus den verschiedenen philosophischen Texten mit dir teilen möchte. Denn ich glaube, dass diese Verbindung mit der ursprünglichen Verwendung des Wortes spannende neue Facetten des Yoga aufdecken kann und unser Praxis inspirieren kann.
Die Basis für diese zwei Artikel bildet eine Vorlesung von meinem Philosophie Lehrer Siddharta Krishna, in der er uns 12 Bedeutungen des Wortes Yoga vorgestellt hat.
Yoga bedeutet wörtlich so viel wie Union oder Verbindung. Das Wort stammt von der Silbe yuj, die in etwa zusammenbinden, anschirren oder anjochen bedeutet. BKS Iyengar beschreibt Yoga in der Einleitung von Licht auf Yoga als die Union von Körper, Geist und Seele.
Yoga ist sowohl Philosophie, Wissenschaft, als auch Kunst und Lebensstil alles in einem. Die Verwendung des Wortes in den verschiedenen Texten kann uns helfen, die Tiefe und die verschiedenen Facetten von Yoga zu verstehen und dadurch unser Verständnis und unsere Praxis vertiefen.
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Yoga ist Viyoga (Bhagavad Gita 6.23)
Während Yoga Union bedeutet, bedeutet Viyoga Trennung. Die Union (Yoga) als Trennung (Viyoga) zu beschreiben, klingt im ersten Moment widersprüchlich, ist es jedoch nicht.
Denn Viyoga bezieht sich auf die Trennung von Leid. Das Leben wird uns immer mit Herausforderungen konfrontieren, es wird immer schöne Zeiten geben, aber auch schwere Zeiten. Unsere Yogapraxis gibt uns die innere Stärke, bewusst auf jede Situation zu reagieren und gekonnt auch mit schwierigen Situationen umzugehen. Viyoga beschreibt die Trennung vom Leid – nicht indem wir vor dem Leid die Augen verschließen oder vor schwierigen Situationen weglaufen, sondern indem wir unsere innere Welt verändern und anders auf die gegebenen Umstände reagieren. Es ist die Fähigkeit, das Leben in all seinen Facetten zu akzeptieren. Denn unsere Yogapraxis entwickelt eine innere Stärke, die dafür sorgt, dass unser Wohlbefinden nicht von äußeren Umständen abhängt. Wir erkennen, dass wir die äußere Welt nicht verändern können, wohl aber unsere innere Welt und verstehen, dass wir in jedem Moment wählen können. Wir lernen, unser Zentrum stabil und im Gleichgewicht zu halten und gekonnt mit den Höhen und Tiefen des Lebens umzugehen, ohne in Verzweiflung zu verfallen.
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Yoga Kshema
Yoga Kshema ist eine sehr alte Definition von Yoga und bedeutet so viel wie sich etwas Neues aneignen und beschützen, was schon da ist. In dieser alten Definition von Yoga geht es nicht darum, sich neue Gegenstände und Objekte anzueignen, sondern um die Entwicklung von positiven inneren Werten und Einstellungen. Gleichzeitig ist es genauso wichtig, all das Positive, was bereits da ist, zu schützen, zu pflegen und es weiter auszubauen. In Bezug auf unsere Praxis geht es darum, beständig und konstant zu üben, um den aktuellen Zustand zu wahren und gleichzeitig das Ziel zu haben, uns immer mehr mit uns selbst zu verbinden und mehr Tiefe und Verständnis zu entwickeln.
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Yoga ist innere Stärke (Atharva Veda)
Yoga ist innere Stärke bedeutet zu verstehen, dass wir kraftvoll sind und unser Leben bewusst erschaffen können. Diese innere Stärke dient dem Zweck, den inneren Konflikt zu gewinnen und anstatt den vielleicht gemütlichen oder einfachen Weg zu wählen, wählen wir den Weg von Tapas, von Selbstdisziplin und erschaffen dadurch eine innere Welt, die dafür sorgt, unsere Lebenskraft auf die richtigen Dinge zu konzentrieren. Wir lernen, unsere Energie nicht für unnötige Dinge zu verschwenden, sondern sie für unser persönliches Wachstum und das Wachstum der Gesellschaft positiv einzusetzen.
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Yoga ist die Verbindung unsere Gedanken mit unseren Handlungen (Upanishads)
In den Upanishads wird ein schlechter Mensch als ein Mensch beschrieben, dessen Gedanken, Worte und Taten nicht in Einklang sind. Diese Assoziation der verschiedenen Ebenen von uns selbst sorgt für tiefe Integrität. Im Iyengar Yoga arbeiten wir direkt mit diesem Prinzip. Durch die Präzision der Bewegungen und Aktionen, wird der Geist mit der Bewegung in Verbindung gebracht. Es braucht so viel Aufmerksamkeit, dass sich keine Gelegenheit für den Geist ergibt, sich auf etwas anderes zu fokussieren, als darauf, was der Körper gerade tut. Diese Integrität, die wir in den Asanas lernen, können wir dann mit in alle anderen Aspekte unseres Lebens nehmen.
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Yoga ist Balance (Bhagavad Gita)
In der Bhagavad Gita beschreibt Krishna Yoga auf unterschiedliche Art und Weise, um seinem Freund und Schüler Arjuna all die Facetten des Yoga zu erklären. Dabei beschreibt er Yoga an einer Stelle als Balance oder Equilibrium. Er sagt dort, dass Yoga nicht für diejenigen ist, die zu viel oder zu wenig essen. Es ist auch nicht für diejenigen, die zu viel oder zu wenig schlafen. Es ist die harmonische Balance in der Ernährung und in der Erholung, die Yoga ermöglicht. Die Yogapraxis entwickelt in uns eine Harmonie, ein inneres Gespür dafür, wie viel das richtige Maß ist und lehrt uns, uns zu mäßigen.
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Yoga ist Bhakti
Bhakti ist universelle Liebe. Yoga ist Bhakti beschreibt die Beziehung des Menschen zum Universum in all seinen Facetten. Bhakti Yoga bedeutet uneingeschränkte Liebe, ein tiefes Vertrauen in das Leben und eine innere Welt voller Mitgefühl, Akzeptanz und Güte. Bhakti verbindet uns mit der göttlichen Energie, die allem Leben zugrunde liegt und hält uns in dieser Sicherheit, dem Vertrauen und dem tiefen Wissen, dass alles genau richtig ist, so wie es ist.
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Yoga ist Zusammenkommen (Rig Veda)
In der Rig Veda, dem ältesten Teil der Vedas wird das Wort Yoga im Sinne von „sich treffen oder zusammenkommen“ verwendet. Es geht dabei um Versammlungen und Zusammenkünfte mit dem Zweck, Wissen zu teilen und weiterzugeben. Ursprünglich wurde das Wissen und die Konzepte des Yoga immer direkt vom Lehrer an die Schüler weitergegeben. Die Gemeinschaft und das Zusammenkommen sind dabei wichtige Aspekte. Im Buddhismus ist das Konzept der Sangha zentral, was mit dieser Bedeutung von Yoga zusammenpasst. Sangha bedeutet Gemeinschaft und ist ein wichtiger Pfeiler des Buddhismus.
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Yoga ist die Abwesenheit von Feindseligkeit
Yoga bedeutet auch keinem Wesen gegenüber Feindseligkeit zu empfinden. Diese Definition steht im engen Zusammenhang mit den Yamas und Niyamas, besonders mit Ahimsa – der Gewaltfreiheit. Akzeptanz und Toleranz zu entwickeln, gehört zu Yoga dazu und diese Bedeutung lehrt uns, dass wir – auch wenn wir unterschiedlicher Meinungen sind oder die Aktionen unserer Mitmenschen nicht immer gutheißen – dennoch innerlich Frieden, Mitgefühl und Akzeptanz kultivieren können.
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Yoga ist Gleichmut (Bhagavad Gita)
In der Bhagavad Gita sagt Krishna, dass Yoga Samatva ist – Samatva bedeutet Gleichheit oder Gleichmut.
Gleichheit kultivieren wir auf körperlicher Ebene in den Asanas, denn besonders im Iyengar Yoga streben wir danach, Ungleichmäßigkeiten zwischen den beiden Körperseiten wahrzunehmen und auszugleichen. Diese äußerliche Gleichheit sorgt für innere Balance, Zentriertheit und Fokus.
Im Sinne von Gleichmut bedeutet Yoga eine innere Stärke zu entwickeln, durch die wir uns von äußeren Einflüssen nicht aus der Ruhe bringen lassen. Egal was das Leben für uns bereit hält – Samatva lehrt uns, dass wir immer selbst entscheiden können, wie wir reagieren – egal was im Außen passiert.
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Yoga ist geschicktes Handeln (Bhagavad Gita)
Yogah Karmasu Kausalam ist eine meiner liebsten Definitionen von Yoga. Gekonnt und mit Geschick zu handeln ist Yoga. Diese Definition lehrt uns, dass wir immer und in jedem Moment unser bestes geben sollten – das ist Yoga. Gekonnt auf die äußeren Umstände zu reagieren und entsprechend zu handeln ist eine Kunst, die wir durch eine regelmäßige Yogapraxis lernen und immer mehr stärken können. Mit der Zeit nimmt unsere Integrität immer mehr zu, der innere Widerstand gegen die Umstände nimmt ab und stattdessen sind wir allzeit bereit, zu tun, was gerade getan werden muss.
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Yoga ist das Zur-Ruhe-Kommen der Gedankenwellen des Geistes (Yoga Sutren von Patanjali)
Patanjali definiert Yoga im zweiten Sutra als „citta vrtti nirodah“ – Yoga ist das Zur-Ruhe-Kommen der Gedankenwellen des Geistes. Diese Definition ist sehr bekannt und das Spannende ist auch hier, dass das Ziel des Yoga auf geistiger Ebene ist. Auch wenn Patanjali uns den ganzen Weg des Ashtanga Yoga darlegt und erklärt, wie wir Yoga erlernen können, ist von Beginn an klar, dass das Ziel auf innere Ebene liegt. Wenn die Gedankenwellen des Geistes abklingen, sagt er weiter, wird der Blick auf das wahre Selbst möglich.
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Yoga ist Samadhi (Upanishads)
Samadhi ist laut Patanjalis Ashtanga Yoga das finale Ziel des Yoga, die Erleuchtung oder komplette Selbsterkenntnis. In den Upanishads werden beide Worte gleich benutzt. Samadhi ist Yoga und Yoga ist Samadhi. Samadhi ist die tiefste und höchste Form der Konzentration, wenn der Meditierende und das Objekt der Meditation ineinander verschmelzen.
Ich hoffe, diese kleinen Einblicke in die Tiefe der vedischen Philosophie hilft dir, deine Praxis zu vertiefen!
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Alles Liebe
Deine Laura
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